Entwicklung

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Die kindliche Entwicklung wird häufig in verschiedene Bereiche (Grob- und Feinmotorik, Sprache und Wahrnehmung und soziale-emotionale Entwicklung) unterteilt. 

Anhand von Studien wurden Durchschnittsalter, zu denen spezifische Entwicklungsschritte (Entwicklungsmeilensteine), erreicht sein müssen, etabliert. Allerdings entwickelt sich jedes Kind in seinem eigenen Tempo. Leichte Abweichungen in die eine oder andere Richtung sind daher völlig normal. Im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt wird darauf geachtet, ob die Entwicklung eines Kindes im normalen Bereich verläuft oder ob einzelne Bereiche spezieller Förderung bedürfen.

Die motorische und kognitive Entwicklung von Kindern mit PCH2 ist stark eingeschränkt. Gewisse Meilensteine wie beispielsweise das freie Laufen oder das Sprechen in ganzen, grammatikalisch korrekten Sätzen, werden von keinem an PCH2 erkrankten Kind erreicht. Dennoch machen Kinder mit PCH2 Entwicklungsschritte, wobei diese von Kind zu Kind sehr unterschiedlich sind und das Alter zum Zeitpunkt des Erreichens eines Entwicklungsmeilensteins zumeist nicht mit dem gesunder Kinder zu vergleichen ist.

Motorische Entwicklung

Die motorische Entwicklung von Kindern lässt sich in die grob- und feinmotorische Entwicklung unterteilen. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über wichtige Meilensteine der motorischen Entwicklung bei gesunden Kindern.

Meilensteine der motorischen Entwicklung gesunder Kinder

AlterMeilensteine Feinmotorik Meilensteine Grobmotorik
0 MonateAugenfolgebewegungen
1 MonatHebt Kopf in schwebender Bauchlage kurz an
3 MonateKopfkontrolle in Bauchlage; Hand zu Mund; Unterarmstütz
5-6 MonateFaustgriffSitzen mit Unterstützung; sichere Kopfkontrolle bei Lage-/Haltungswechsel
9 MonateScherengriffSicheres freies Sitzen
10 MonateFortbewegen in Bauchlage; Stehen mit Festhalten; Hochziehen zum Stand
12 MonateLaufen an Möbeln entlang; kann alleine stehen
14 MonatePinzettengriff
16 MonateGeht frei und sicher
2 JahreLäuft Treppen hoch und runter (mit/ohne Festhalten am Geländer); rennt sicher

Motorische Entwicklung von PCH2- Kindern

Einige Kinder mit PCH2 erreichen oben genannte motorische Entwicklungsziele (abgesehen von dem des freien Laufens), wenn auch meist deutlich verzögert und mit Einschränkungen.

So wird der Meilenstein der Kopfkontrolle von über der Hälfte der erkrankten Kinder erlernt, allerdings zumeist nicht im Sinne der Kopfkontrolle bei gesunden Kindern, welche reproduzierbar und durch Lageveränderungen hindurch konstant bleibt. Bei vielen Kindern mit PCH2 aber ist eine kurzzeitige Kopfkontrolle und ein Drehen des Kopfes in eine bestimmte Richtung durchaus vorhanden.

Auch der Meilenstein des Drehens wird von einer Vielzahl der an PCH2 erkrankten Kinder erreicht, ebenso zeigen viele Kinder den Versuch, nach angebotenen Dingen zu greifen. 

Je komplexer die zu erlernenden Fähigkeiten sind, desto weniger an PCH2 erkrankte Kinder erreichen diese jedoch. So ist das freie Sitzen, die Fortbewegung in Bauchlage oder das gezielte und sichere Greifen nur einer geringen Anzahl erkrankter Kinder möglich. So erfordert beispielsweise zielgerichtetes Greifen erhebliche Anstrengung, ist oft ataktisch und kann nur für kurze Zeit aufrechterhalten werden. Komplexe motorische Aufgaben, wie z.B. selbständiges Zähneputzen, sind in der Regel nicht zu bewältigen.

Kognitive Entwicklung

Unter der kognitiven Entwicklung fasst man die Entwicklung von Sprache und Sozialverhalten zusammen. Aber auch Fähigkeiten wie Augenfolgebewegungen können hierzu gezählt werden.

Meilensteine der kognitiven Entwicklung gesunder Kinder

AlterSpracheSozialverhalten/ Spiel
1 MonatLautierenFixiert und verfolgt Gegenstände im Gesichtsbereich
3 MonateSpontanes VokalisierenAntwort-/ soziales Lächeln
9 MonateSilbenkettenUntersucht Gegenstände mit Händen, Mund und Augen
12 MonateDoppelsilben; imitiert Sprachlaute
18 Monate„Mama“ und „Papa“ sinngemäß und ein weiteres WortVersteckt/ sucht Gegenstände; räumt ein
2 Jahre2-Wort-SätzeImitiert Handlungen; einfaches Rollenspiel
3 Jahre4-Wort-Sätze; Gebrauch von Personalpronomen; Singular und PluralRollen- und Illusionsspiel; malt Kreis nach
4 JahreGute GrammatikFarben zuordnen; Kopffüßler malen; zählt Grundzahlen
5 JahreAussprache praktisch fehlerfreiRegelspiele

Kognitive Entwicklung von PCH2-Kindern

Ähnlich wie bei der motorischen Entwicklung gibt es auch hier große Unterschiede zwischen den an PCH2 erkrankten Kindern.

Während viele PCH2-Kinder durchaus auf Bezugspersonen mit einer Reaktion des Erkennens reagieren, ein soziales Lächeln zeigen, kontrastreiche Gegenstände mit den Augen fixieren und verfolgen, auf Geräusche reagieren und sich mit Lauten verständigen können, erreichen beispielsweise nur wenige den Meilenstein des Äußerns spezifischer Worte.

Entwicklungsrahmen von PCH2-Kindern

Zusammenfassend gilt für die Entwicklung von an PCH2 erkrankten Kindern dasselbe wie für die von gesunden Kindern: Jedes Kind ist einzigartig und eine genaue Vorhersage wird sich nie treffen lassen. 

Um es mit einer Metapher zu sagen: jedes Kind hat einen Rahmen, in dem seine Entfaltung und Entwicklung möglich ist. Dieser mag für PCH-Kinder vielleicht etwas enger sein. Aber inwieweit das einzelne PCH-Kind seinen Rahmen ausschöpft, kann im Vorfeld nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden. 

Dies hängt von vielen Faktoren ab: der Schwere der Symptome, der Medikamenteneinstellung, der Förderung und Ansprache und vielem mehr. 

Nicht zuletzt hängt es aber vor allem von dem kleinen Menschen ab, der dort versucht, trotz aller Widrigkeiten, die seine Erkrankung mit sich bringt, das Beste daraus zu machen, sich zu entwickeln, zu lernen, zu erleben,  zu begreifen und sich mitzuteilen.

Wissenschaftlicher Hintergrund

Daten aus der Literatur

  • Barth et al. beschrieb bereits 1995 die schwere Einschränkung der motorischen und kognitiven Entwicklung von an PCH2 erkrankten Kindern. 1 von 16 Kindern seiner Studie erreichte den Meilenstein des freien Sitzens, 10 Kinder konnten mit Rumpfunterstützung sitzen. 6 Kinder erreichten den Meilenstein der Kopfkontrolle nicht.
  • Namavar et al. (2011) wiesen in diesem Zusammenhang auf die starke Beeinträchtigung der Willkürmotorik der erkrankten Kinder hin. Einem von 49 Kindern war in dieser Studie das freie Sitzen möglich, 18 benötigten Unterstützung hierzu. 28 Kinder zeigten keine Kopfkontrolle. Bei 10 von 55 Kindern war eine vorsätzliche Handkontrolle zu beobachten.
  • Bei den von Steinlin et al. (2007) war das freie Sitzen keinem der 21 untersuchten Kinder möglich. Einem von 21 Kindern war die Vokalisation von Worten möglich und 8 von 21 Kindern zeigten zumindest kurzzeitig ein Fixieren mit den Augen und Blickfolgebewegungen.

Natural History Study von 2014

Fähigkeit Wie viele Kinder haben es erlernt?Medianes Altern in Monaten in dem die Fähigkeit erlernt wurde
Grobmotorik
Kopfkontrolle23/3312
Fortbewegung in Bauchlage3/3324
Drehen18/3312
Vierfüßlerstand2/3278
Sitzen3/3348
Feinmotorik
Greifenversuch25/3312
Gezieltes Greifen8/3342
Sprache
Spezifische Laute19/3324
Spezifische Worte4/3349,5
Adäquate Reaktion auf Lob/Tadel26/3322
Soziales Lächeln24/3311
Kognitiv/ Kommunikation
Erkennen von Bezugspersonen32/338
Reaktion auf bekannte Dinge29/3322
Fixieren und Folgen mit den Augen26/3314,5
Reaktion auf Geräusche28/3218

Natural History Study von 2023

Fähigkeit Wie viele Kinder haben es erlernt? (% und absolute Zahl)Medianes Altern in Monaten in dem die Fähigkeit erlernt wurde
Grobmotorik
Kopfkontrolle65 % (42/65)9,5
Fortbewegung in Bauchlage14 % (9/65)18
Drehen48 % (31/65)12
Vierfüßlerstand11 % (7/65)19,5
Sitzen6 % (4/65)32
Feinmotorik
Greifversuch69 % (45/65)12
Gezieltes Greifen35 % (23/65)16,5
Sprache
Spezifische Laute48 % (31/65)18
Spezifische Worte12 % (8/65)30
Reaktion auf Aufforderung, Lob/Tadel69 % (45/65)19
Kognitiv/ Kommunikation
Soziales Lächeln85 % (55/65)8
Erkennen von Bezugspersonen94 % (61/65)6
Reaktion auf bekannte Dinge88 % (57/65)12
Fixieren86 % (56/65)10,5
Augenfolgen80 % (52/65)12
Reaktion auf Geräusche77 % (50/65)12
Reaktion auf visuelle Reize94 % (49/52)4,5

Dieser Eintrag wurde nach bestem Wissen aufgrund berichteter Erfahrungen von Eltern betroffener Kinder verfasst. Zusätzlich wurden aktuell verfügbare Daten aus der Studie zum natürlichen Verlauf der PCH2 von 2014 und 2023 und der allgemeinen medizinischen Literatur eingearbeitet. Er ersetzt nicht eine ärztliche Konsultation. PCH2cure übernimmt diesbezüglich keinerlei Haftung.

  • Barth, P. G., Blennow, G., Lenard, H. G., Begeer, J. H., Van der Kley, J. M., Hanefeld, F., … & Valk, J. (1995). The syndrome of autosornal recessive pontocerebellar hypoplasia, microcephaly, and extrapyramidal dyskinesia (pontocerebellar hypoplasia type 2) Compiled data from 10 pedigrees. Neurology, 45(2), 311-317.
  • Heininger U, Sitzmann F C, Straßburg H-M (2012) Allgemeine und spezielle Prävention. In L. Gortner, S. Meyer & F. C. Sitzmann (Hrsg.) Pädiatrie. Thieme. Stuttgart: 42-61.
  • Jenni, O. (2021). Die kindliche Entwicklung verstehen. In :. Springer.
  • Largo, R. H., Molinari, L., Pinto, L. C., Weber, M., & Due, G. (1986). Language development of term and preterm children during the first five years of life. Developmental Medicine & Child Neurology, 28(3), 333-350.
  • Namavar, Y., Barth, P. G., Kasher, P. R., Van Ruissen, F., Brockmann, K., Bernert, G., … & Poll-The, B. T. (2011). Clinical, neuroradiological and genetic findings in pontocerebellar hypoplasia. Brain, 134(1), 143-156.
  • Michaelis, R., Berger, R., Nennstiel-Ratzel, U., & Krägeloh-Mann, I. (2013). Validierte und teilvalidierte Grenzsteine der Entwicklung. Monatsschrift Kinderheilkunde, 161(10).
  • Steinlin, M., Klein, A., Haas-Lude, K., Zafeiriou, D., Strozzi, S., Müller, T., … & Boltshauser, E. (2007). Pontocerebellar hypoplasia type 2: variability in clinical and imaging findings. European Journal of Paediatric Neurology, 11(3), 146-152.
  • Touwen B C L (1984) Normale neurologische Entwicklung: Die nicht bestehenden inter- und intra-item- Beziehungen. In R. Michaelis, R. Nolte, M. Buchwald-Saal & G. Haas (Hrsg.) Entwicklungsneurologie. Kohlhammer. Stuttgart: 17-24.
  • Wehrle, F. M., Caflisch, J., Eichelberger, D. A., Haller, G., Latal, B., Largo, R. H., … & Jenni, O. G. (2021). The importance of childhood for adult health and development—study protocol of the Zurich longitudinal studies. Frontiers in human neuroscience, 14, 612453.
  • WHO Multicentre Growth Reference Study Group, & de Onis, M. (2006). WHO Motor Development Study: windows of achievement for six gross motor development milestones. Acta paediatrica, 95, 86-95.
  • Natural History Study von 2014: Frölich S. Natürlicher Verlauf der Pontocerebellären Hypoplasie Typ 2 [Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin] Tübingen: Eberhard-Karls-Universität; 2014
  • Natural History Study von 2023: Kuhn A L. Gastrointestinale Symptome, Ernährung und Gedeihen bei Pontocerebellärer Hypoplasie Typ 2 A [Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin] Freiburg im Breisgau: Albert-Ludwigs-Universität; 2023

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